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Ausstieg nötiger denn je - und möglich!

Analyse 2019

von Anika Limbach / Langfassung hier abrufbar

 

Kann man das wirklich “Ausstieg” nennen?

Die Wahrheit über den Kohleausstieg bis 2035/2038 brachte vor allem eine Satiresendung, "Die Anstalt" vom 9. April 2019, auf den Punkt: Demnach schlug die Kohlekommission ein Ausstiegsszenario vor, das sich bis 2030 kaum von dem Ausstiegpfad unterscheidet, den man auch ohne politische Vorgaben hätte erwarten können. Der entscheidende Unterschied besteht nur darin, dass die Konzerne nun für die Stilllegung ihrer Kohlekraftwerke Entschädigungen erhalten sollen.
Mit diesem "Kohleausstieg" würden wir die Pariser Klima-schutzziele nicht annähernd erreichen. Das CO2-Budget für den deutschen Stromsektor wäre nach vier bis sechs Jahren ausgeschöpft. 2038 wäre die dreifache Menge erreicht.
Gleichzeitig ist auch der Weiterbetrieb der restlichen Atomkraftwerke inakzeptabel. Inzwischen haben sie das kritische Alter von 30 Jahren überschritten, d.h. die Gefahr eines schweren Unfalls steigt exponentiell mit jedem Betriebsjahr und sogar mit jedem Tag, den sie länger am Netz bleiben. Die Abschaltung des Großteils dieser Reaktoren ist aber für Ende 2022 geplant – ein viel zu spätes Datum.
Der sofortige Atomausstieg muss also zeitgleich zu einem sehr schnellen Kohleausstieg vollzogen werden. Doch ist das versorgungssicher möglich? Und würde es nicht dazu führen, dass Treibhausgase langsamer reduziert werden? Trägt Atomstrom eher zum Klimaschutz bei oder steht er ihm sogar im Weg?
Im Grunde ist die Diskussion irreführend, denn sie gaukelt vor, als ginge es um eine Entscheidung zwischen Kohle und Atom. Mit den Möglichkeiten der Energieeffizienz und des schnellen Zuwachses Erneuerbarer Energien sind aber die Alternativen so überwältigend, dass sich niemand zwischen Pest und Cholera entscheiden muss. Dennoch lohnt es sich, das Argument der angeblichen Klima-freundlichkeit von Atomkraftkwerken genauer ins Visier zu nehmen.

Wie klimaschädlich sind Atomkraftwerke?

Wir verweisen an dieser Stelle auf den Freitag-Artikel "Kernkraft fürs Klima? Nein Danke!", der diese Frage ausführlich behandelt.

 

Modifiziertes Szenario:

Sofortiger Atomausstieg / Kohleausstieg bis Ende 2024

  Langfassung mit genauer Erläuterung der Daten

Wie schnell können wir aussteigen?

Die Kraftwerksliste von 2019 (der Bundesnetzagentur) zeigt ein massives Überangebot, selbst wenn man Solar- und Windkraft nicht mitzählt (siehe linken Balken). Auch nachts, bei Windstille und extrem hohem Stromverbrauch blieben ohne Atomkraftwerke noch Überkapazitäten von knapp 19 GW!
Das Ökoinstitut hat ein ambitioniertes Szenario für einen Kohleausstieg bis Ende 2024 vorgelegt (als Teil einer Studie für den WWF). Die Balken für 2020 und 2024 in der Graphik zeigen es in einer leicht modifizierten Form.
Angenommen wurde hier ein recht hohes Maß an Lastmanagement – Experten schätzen sein Potential auf 8 bis 10 Gigawatt – und ein Wert für sich ausgleichenden Windstrom, welcher der Tatsache Rechnung trägt, dass im europäischen Kontext zu jeder Zeit eine gewisse Menge an Windstrom verfügbar ist. Davon auszugehen, dass beide Optionen bis Ende 2020 im Extremfall 14 GW Kraftwerks-leistung ersetzen können, ist also nicht unrealistisch.

Da im Szenario des Ökoinstituts das bisher geplante Tempo des Atomausstiegs angenommen wurde, fallen im modifizierten Szenario 8 GW Atommeiler im Balken für 2020 weg, werden aber dadurch kompensiert, dass be-stimmte Gaskraftwerke später vom Netz gehen und Reserveleistung eingespart wird. Atomkraftwerke tragen nicht, wie oft behauptet, zur Versorgungssicherheit bei. So lieferten vier der sieben deutschen AKW im ersten Halbjahr 2018 im Schnitt 20 Prozent weniger Strom als erwartet. Dass zwei Reaktoren gleichzeitig ausfallen, dürfte inzwischen keine Seltenheit mehr sein. Diese 2 GW werden de facto in der Reserve vorgehalten, die insgesamt recht großzügig bemessen ist. Sobald Atomkraft keine Rolle mehr spielt, sind auch sie überflüssig, genauso wie einige Reservekraftwerke, die dem sog. Redispatch dienen. Es ist vor allem der Atomstrom in Norddeutschland, der an windreichen Tagen Redispatch-Maßnahmen notwendig macht. Wenn er das Netz nicht mehr verstopft, wird somit weniger Regelleistung im Süden in Anspruch genommen.

Festzuhalten bleibt: Ein sofortiger Atomausstieg ist mit einem Kohleausstieg bis Ende 2024 vereinbar, wobei ein hohes Maß an Versorgungssicherheit unterstellt wird.

Wann und warum “versorgungssicher”?

Das Konzept der Versorgungssicherheit ist an sich schon kritikwürdig, da es auf der Annahme beruht, nur eine hohe und immer höhere Verfügbarkeit an Energie sei deckungsgleich mit unseren Bedürfnissen. Dabei passt es eher zur Tendenz unseres Wirtschaftssystems, Energie unnötig zu verschwenden, hat also wenig mit dem zu tun, was wirklich gebraucht wird. Wesentlich sinnvoller wären bedarfsgerechte Lösungen, die mit kleinen, sich gegenseiig ergänzenden Anlagen Erneuerbare Energien und dezentralen Speichern viel eher vereinbar sind.
Doch selbst im Sinne der Versorungssicherheit schneiden EE besser ab, als ein System aus überwiegend großen, womöglch störanfälligen Kraftwerken. Das bestätigt die Entwicklung des SAID-Wertes, eines Indexes für die durchschnittliche Versorgungsunterbrechung: 2016 muss-ten deutsche Verbraucher im Schnitt Stromausfälle von nur 12,8 Minuten erdulden, 2006 waren es noch knapp 22 Minuten. Im selben Zeitraum erhöhte sich der Anteil der Erneuerbaren im Strommix von 11,3 auf 29,2 Prozent. Zum Vergleich: In Frankreich liegt der SAID-Index bei zirka 50 Minuten, in Polen, wo die Braunkohle dominiert, bei fast 3,5 Stunden.

 

Warum wird Strom immer teurer?

Durch den Kapazitäts-Überschuss fallen die Preise an der Strombörse kontinuierlich und seit Jahren. Nur für die Endverbraucher wurde Strom immer teurer, wofür die Erneuerbaren Energien allerdings am wenigsten verantwortlich sind. Besonders in den letzten Jahren hat auf dem Stromsektor eine riesige Umverteilung zulasten der Normalverbraucher und zugunsten von Konzernen und Industrie stattgefunden. Hauptverursacher der stetigen Preiserhöhungen sind

1. die Stromversorger selbst (die den immer niedrigeren Börsenstrompreis nicht an die Endkunden weitergeben)

2. die ungerechten Entlastungen stromintensiver Unternehmen und

3. die hohen Netzentgelte.

Darüber werden nicht nur die nötige Instandhaltung der Netze bezahlt, sondern z. B. auch unnötige Reservekraftwerke oder der Bau neuer Stromautobahnen. Für die Energiewende sind Letztere nicht notwendig. Mit dem Abschalten von Atom- und Braunkohlekraftwerken gäbe es im Netz wieder mehr Platz für die Erneuerbaren. Solche Absurditäten wie das Abregeln von Windkrafträder wären dann passé.

Wir sind erst am Anfang der Energiewende

Es steht außer Frage, dass wir nach dem Atom- und Kohleausstieg innerhalb kurzer Zeit auch auf die restlichen fossilen Kraftwerke verzichten müssen. Eine vollständige Energiewende muss außerdem den Wärme- und Verkehrssektor erfassen und von einer Agrarwende begleitet werden. Die Politik steht dabei in der Pflicht. Dennoch: Ohne einen Wandel des Bewusstseins und unserer Gewohnheit, Ressorcen zu verschwenden, wird es nicht gehen.

Langfassung 2019

Flyer 2019 "Kohle- und Atomkraft notiger denn je - und möglich"

Solange der Vorrat reicht, können wir die Flyer verschicken. Bei Interesse bitte eine Email schreiben an Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!

 

 Langfassung 2017

Flyervorlage "Ein Sofortausstieg ist möglich" - 2017

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