Von Horst Blume, Bürgerinitiative Umweltschutz HammDie Urenco-Gruppe ist mittlerweile mit ihren Standorten Gronau, Almelo und Capenhurst nicht nur in das Blickfeld der Öffentlichkeit geraten, weil sie den nuklearen Treibstoff für viele Dutzend Atomkraftwerke in Europa herstellt, Atommüll nach Russland verschiebt oder weil es Zielpunkt für unzählige Bahntransporte mit dem hochgefährlichen Uranhexafluorid (UF6) ist. Die nukleare Proliferation durch Urenco wurde während der letzten Jahrzehnte zu einer ernsten Gefahr für den Weltfrieden und ist mitverantwortlich dafür, dass wir heute an der Schwelle des Einsatzes von Atombomben durch Terroristen und diktatorische Staaten stehen. Während in den Niederlanden diese Verantwortlichkeit von URENCO auf breiter Ebene thematisiert wird, beginnt die öffentliche Wahrnehmung dieses Tatbestandes in der Bundesrepublik erst jetzt. Die neue Aufmerksamkeit ist vor allem ein Verdienst von dem Journalisten Egmont R. Koch, der mit seinem Buch "Atomwaffen für Al Quaida" und verschiedene Fernsehsendungen auf die Mithilfe skrupelloser europäischer Firmen beim heimlichen Bau der Atombombe aufmerksam machte.
Im Zentrum stehen die Urananreicherungsanlagen von URENCO und der pakistanische Wissenschaftler Abdul Quadeer Khan, der sich hier seit dem Anfang der 70er Jahre ohne große Probleme das Wissen über den Bau von Atombomben aneignen konnte, die Konstruktionspläne stahl und die für die Produktion der zahllosen Einzelteile in Frage kommenden Firmen ausfindig machte. Sehr viele kamen aus der BRD und der Schweiz.
Nachdem Khan seinem Heimatland Pakistan mit einer eigenen Urananreicherungsanlage versorgt hatte, belieferte er mit seinem "nuklearen Supermarkt" Libyen, Iran und Nord-Korea, um höchstselbst daran zu verdienen. Die weltweite Bedrohung nahm also ihren Anfang bei URENCO. Koch schreibt: "Dort begann im Herbst 1974 die Arbeit an den beiden modernen Zentrifugentypen G1 und G2, die von Nazi-Wissenschaftlern für Hitlers ultimative Atomwaffe erfunden und nach dem Krieg von den Sowjets mit Hilfe derselben Nazi-Wissenschaftler weiterentwickelt worden waren. Im Oktober des Jahres, nicht einmal ein halbes Jahr nach seiner Verpflichtung als pakistanischer Agent, wurde Abdul Quadeer Khan gebeten, die deutschsprachigen Unterlagen der G1 und G2 ins Niederländische zu übersetzen. (...) Khan übersetzte in dieser Zeit ,zwei Teile eines zwölfteiligen deutschen Reports, der als 'geheim' klassifiziert war' fand die Kommission heraus. Was weitaus schwerer wog: Der nette, allseits beliebte Pakistani wurde von den URENCO-Kollegen ,als einer der Ihren angesehen', er ging mit ihnen für eine Kaffeepause nebenan in die Kantine, stellte viele spezifische Fragen, so daß er möglicherweise ,die gesamte Technologie der deutschen Zentrifuge' ausspähen konnte, wie es im späteren Untersuchungsbericht heißen wird." (S. 64) - Und das in der "brain box", in der jeder dortige Techniker eine monatelange Sicherheitsprüfung hinter sich hatte - normalerweise jedenfalls.
Nach nur gut zwei Jahren intensiver Zusammenarbeit mit zahlreichen Produktionsfirmen konnte Khan mit dem Transfer des brisanten Materials beginnen: "Ende April 1977 machte sich der erste Teil der Karawane auf die beschwerliche Reise nach Pakistan. Verpackt in 62 Lastwagen der Spedition Schencker hatte Migule (von der Firma CES Kalthof, ein Vertragspartner Khans; H. B.) die Anlagentechnik bei 150 Unterlieferanten in Europa zusammengekauft, von der kleinsten Schraube bis zu Röhren von Mannesmann und Kabeln von Siemens. Alles wurde ordentlich verzollt und sogar entsprechend den Richtlinien zur Außenhandelsstatistik bei den Behörden angemeldet, allerdings falsch deklariert - als Fluorfabrik 'für die Zahnpastaherstellung' eben." (S. 79)
Um zu sehen, wer in NRW außer URENCO Gronau noch in den Bau einer Atombombe für terroristische Zwecke und Diktaturen verstrickt war, habe ich aus dem Buch Kochs einige NRW-Standorte als exemplarisches Beispiel herausgesucht. (Seitenzahlen in Klammern)
Düsseldorf
Der Export von "Schweres Wasser" musste der Atomaufsicht (IAEA) in Wien
gemeldet werden, wenn er über einer Tonne lag. Der begehrte Stoff wurde
knapp unterhalb dieser Grenze oft an den Kontrollen vorbei gehandelt.
"Eines dieser dubiosen Unternehmen war die Düsseldorfer
,Rohstoff-Einfuhr GmbH' des Altnazis Alfred Hempel, und an den wandte
sich Munir Khan damals in seiner Not" (S. 61). Und fragte bei der
Gesellschaft für Kernforschung in Karlsruhe an, ob die nicht etwas
entbehren könnten. Das Bundesministerium für Forschung und Technologie
(BMFT), Euratom und die amerikanische Atomc Energy hatten dem Deal schon
zugestimmt. Im letzten Moment wurde dann aber aufgrund außenpolitischer
Ereignisse doch nichts mehr daraus. Da am 18. 5. 1974 Indien seine erste
Atomwaffe zündete, wurde dieser Lieferweg nach Pakistan gesperrt. Andere
Bemühungen liefen hingegen erfolgreicher.
Köln
Die Firma Leybold-Heraeus AG aus Köln und Hanau geriet seit Jahrzehnten aufgrund verschiedenster umstrittener Nuklearkomponenten-Lieferungen in das Visier von Staatsanwaltschaften und CIA-Analysten, die die weltweiten Proliferationsaktivitäten beobachteten. "...Leybold-Heraeus AG habe einen Spezialofen nach Pjöngjang geliefert, der für die Herstellung von Uranzentrifugen geeignet sei. Leybold-Heraeus war seinerzeit die vielleicht wichtigste Anlaufstelle für Abdul Quadeer Khan in der Bundesrepublik. Und in einem späteren Report hieß es: Techniker von Leybold-Heraeus seien damals in den Transfer von Gerätschaft und Informationen nach Pjöngjang involviert gewesen, man habe einen oder sogar zwei LH-Mitarbeiter 1989 und 1990 identifizieren können" (S. 238). Diese Firma, die zu den wichtigsten Lieferfirmen von URENCO zählte, macht derzeit in einem aktuellen Prozess von sich Reden. Ihr Manager Gotthard Lerch (4), der auch beste Verbindungen zu südafrikanischen Nuklearfirmen hatte, wurde von der Schweiz an bundesdeutsche Gerichte ausgeliefert und muss sich wegen illegalem Nuklearschmuggel nach Libyen verantworten. Der Prozess läuft noch. Im Fall Khans umfasste die Lieferung "Lötöfen, Schweißmaschinen, Pumpen, Ventile und eine Gasreinigungsanlage" (S. 83). Näheres zu diesem Themenkomplex haben wir schon im THTR-Rundbrief Nr. 95, 99 und 104 geschrieben.
Jülich
Die jülicher Firma Uranit, über eine Holding mit der URENCO-Gruppe
verbunden, ist heute eine Tochtergesellschaft von RWE Power AG und E.ON
Kernkraft GmbH. 1984 fand in den Niederlanden ein Spionage-Prozess
statt, indem Khan wegen Diebstahls streng geheimer, von Uranit
ausgearbeiteter Konstruktionspläne in Abwesenheit zu vier Jahren Haft
verurteilt wurde. Der Hintergrund: "Als die Fachleute von Uranit Wochen
später die Zeichnungen zur Analyse erhielten, kamen ihnen die meisten
Dinge bekannt vor: Der ,prinzipielle Aufbau' der in den Dokumenten
beschriebenen Uranfabrik entspreche dem der modernen URENCO-Anlagen ,in
Almelo und Gronau'" (S. 160). "Das Urteil aber, vier Jahre Haft, sollte
eineinhalb Jahre später von der Berufungsinstanz wieder kassiert werden
-- aus formalen Gründen, weil dem Beschuldigten die Klageschrift nicht
rechtzeitig zugestellt worden war" (S. 134). Und zum Verhalten von
Uranit schrieb Koch: "Wahrscheinlich lag es durchaus im Interesse des
deutschen URENCO-Partners, die Sache einschlafen zu lassen. Ein
geklautes ,Auslegungsblatt für einen Misch-Autoklaven' stand in keinem
Verhältnis zu dem möglichen Imageschaden durch eine Berichterstattung,
die einen Zusammenhang mit dem pakistanischen Atomprogramm herstellen
würde" (S. 136).
Coesfeld
Eine kleine, von Koch nicht namentlich genannte Firma aus Coesfeld, "die zu den Lieferanten für die URENCO-Uranfrabrik zählte" (S. 130), hat zur Aufdeckung des oben beschriebenen Spionagefalls mit beigetragen. Die von einer schweizer Firma (Metallwerke Buchs, MWB) in Coesfeld eingereichten Konstruktionszeichnungen für ein Angebot entsprachen ziemlich genau jenen, "die von den Coesfeldern nach Gronau geliefert worden waren" (S. 130).
Dortmund
Die Komponenten für die nukleare Aufrüstung Libyens beschaffte Khan unter anderem aus Dortmund. Und zwar von der Tridelta Dortmund GmbH, die aus dem Unternehmen Thyssen Magnettechnik (Dortmund-Aplerbeck) hervorgegangen ist. Sie war also Bestandteil eines Firmengeflechts, dem auch das Unternehmen Uhde angehört, das zur Zeit die nukleare Brennelementefabrik für den HTR in Südafrika herstellt. Tridelta produzierte die begehrten Ringmagneten, die zusammen mit Motoren und Inverter ("die nötig sind, um die Rotoren auf ihre extrem hohen Drehgeschwindigkeiten zu bringen", S. 244), welche letztendlich in Istambul (!) zusammengebaut wurden "und dann nach Dubai verschifft, dort umgepackt und weiter nach Libyen geliefert wurden" (S. 244). Nur durch die Aufgabe der libyschen Nuklearambitionen in den letzten Jahren und der damit einhergehenden nachträglichen Offenlegung vergangener Aktivitäten kam diese Verwicklung westfälischer Firmen in den Atombombenbau ans Tageslicht.
Bonn
"Der pakistanische Militärmachthaber Zia ul-Haq hatte in seltener
Dreistigkeit seinen Vetter Abdul Waheed als neuen Botschafter nach Bonn
entsandt, damit dieser sich um die Organisation des Nachschubs für P2
kümmerte, die zweite pakistanische Anreicherungsanlage in Kahuta" (S.
153). Hier fanden die teilweise vom US-Geheimdienst verdeckt gefilmten
Treffen mit maßgeblichen Drahtziehern des nuklearen Netzwerks Khans
statt. Über die Commerzbank in Bonn wurden die hierzu notwendigen
finanziellen Transaktionen teilweise abgewickelt.
Es wäre völlig unrealistisch anzunehmen, Al Qaida oder Staaten wie
Pakistan wären dazu in der Lage gewesen, eine Nuklearwaffe selbstständig
zu bauen und erfolgreich einzusetzen. Egmont R. Koch hat in seinem Buch
nachgewiesen, dass bundesdeutsche Unternehmen - insbesondere auch aus
NRW - maßgeblich an der Entwicklung und dem Bau dieser
menschenverachtenden Waffen beteiligt waren. Und das die Mähr von der
friedlichen Nutzung der Atomenergie eine unverschämte Lüge ist. Und vor
allem: Ohne die deutsch-niederländischen Urananreicherungsanlagen von
URENCO hätte diese verhängnisvolle Entwicklung nicht ihren Lauf nehmen
können.
Ähnliches kann in Zukunft jederzeit wieder passieren. Auch deswegen muss die UAA Gronau stillgelegt werden!
Horst Blume
www.thtr-a.de
Egmont R. Koch "Atomwaffen für Al Qaida", 2005, Aufbau-Verlag, 348 Seiten, 19,90 Euro

