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Messung im WendlandDie Messungen am vorbeifahrenden Castor-Transport an der Kreuzung vor dem Verladekran im wendländischen Dannenberg am Montag, 13. November 2006, um ca. 5.00 Uhr zeigten eine Überschreitung des geltenden Grenzwertes für die Strahlenexposition. Was wann wieviel strahlte, erläutern wir in diesem Artikel.

Zwei verschiedene Strahlungsarten durchdringen die Wände des Castors: Gammastrahlen und Neutronenstrahlen. Die Gammastrahlung entstammt den radioaktiven Atomen, die bei der Energiegewinnung im Atomkraftwerk aus der Spaltung von Uran entstehen. Neutronenstrahlung entsteht u.a. im Castor selbst durch verschiedene Reaktionen, wie der Spaltung von sehr schweren Atomen wie Uran und Plutonium (Spaltneutronen). In einer im November 2000 vorgelegten Studie der Gesellschaft für Anlagen- und Reaktorsicherheit (GRS) [GRS2000] war damals festgestellt worden, dass die potenzielle Strahlenexposition für die Bevölkerung und die begleitende Polizei bei Castor-Transporten sehr gering sei. Die Studie ging dabei von drei Transporten pro Jahr mit jeweils 6 Castoren aus. Sowohl für die Anwohner der Hauptanfahrstraßen als auch für die unmittelbaren Anlieger am Castor-Verladekran sah die Studie keine Gefahr. Seit dem Frühjahr 2001 gab es dann wieder Castortransporte nach Gorleben. Der Castor-Transport im November 2002 war dann der erste, bei dem gleich 12 Strahlenbehälter durch die Lande rollten. Offensichtlich konnte die Erhöhung der Behälterzahl damals ohne eine neue Untersuchung zur Einhaltung von Transportgrenzwerte für die Strahlungsintensität durchgesetzt werden. Uns interessierte die von den Castoren ausgehende Direktstrahlung (Ganzkörperbestrahlung), die eine Gefährdung für Mensch und Tier in der näheren Umgebung der Transporte darstellt. Im letzten November waren wir mit einem Strahlenmessgerät vor Ort.

Die Messung 

Am frühen Morgen des 13.11.2006, während der Fahrt des Castortransportes vom Verladekran Dannenberg zum Zwischenlager in Gorleben haben wir an der Kreuzung vor dem Verladekran Strahlungsmessungen an den vorbeifahrenden Castoren durchgeführt. Die Messungen haben innerhalb der Einkesselung der Sitzblockade, die dort kurz zuvor aufgelöst worden war, stattgefunden. Die Strahlungsmessung wurde mit einem GAMMA SCOUT (www.gamma-scout.com) durchgeführt. Dieses Gerät ist Endfensterzählrohr, das nach dem Geiger-Müller-Prinzip funktioniert. Die Entfernung zum Castor betrug ca. 6 - 7 Meter. Dazwischen befanden sich Polizeikräfte und auch Einsatzwagen. Die eventuelle Abschirmung durch diese wurde in der folgenden Berechnung des Strahlenwertes nicht berücksichtigt. Die Messung ist somit eher eine Unterschätzung der tatsächlich vorhandenen Strahlung. Die Messhöhe war ungefähr 2 Meter und somit etwas über den Köpfen der Polizeikräfte. Abweichung des eingesetzten Messgeräts gegenüber einem Referenzgerät am Institut für Radiochemie und Strahlenschutz der Fachhochschule Mannheim bei Messung der Umgebungsstrahlung beträgt weniger als 5%. Es wurde während der gesamten Zeit, in der Castor-Behälter (insgesamt 12) an der obengenannten Stelle vorbeifuhren, gemessen. Die maximale gemessene Gammastrahlung war 1.54 mSv/h (siehe Foto in Abbildung 1). Es wurden noch höhere Werte gemessen, allerdings nicht fotografisch dokumentiert. 

Aufnahme des Messinstruments zusammen mit einem gerade vorbeifahrendem Castor-Transportbehälter. Das Display zeigt 1.54 µSv/h Gammastrahlung. 
Abbildung 1: Aufnahme des Messinstruments zusammen mit einem gerade vorbeifahrendem Castor-Transportbehälter. Das Display zeigt 1.54 µSv/h Gammastrahlung. Es wurden noch höhere Werte registriert, aber nicht fotografiert.

Berechnung der Gesamtdosisleistung

Die Messung der örtlichen Hintergrundstrahlung im Zeitraum von einigen Stunden vor der Ankunft des Transport wurde mit dem mitgeführten Gerät zu 0.11 µSv/h bestimmt. Dieser Wert liegt etwas höher als der mit professionelleren Geräten üblicherweise gemessene Hintergrundstrahlung in Dannenberg von circa 0.08 µSv/h. Der Grund dafür ist die gerätebedingte cut-off Energie beim Gamma Scout, die bei 20 keV liegt. Die Ansprech-empfindlichkeit des Gamma Scout Zählers ist daher circa viermal niedriger als bei den teureren Geiger-Müllerzählern.

Nach Abzug der Hintergrund Gammastrahlung ergibt sich aus dem gemessenen Maximalwert eine korrigierte Gammastrahlung von 1.43 µSv/h. Erfahrungsgemäß besteht die bei Castortransporten abgegebene Strahlung zu 70% aus Neutronenstrahlung. Die Annahme, dass der Anteil der (hier nicht gemessenen) Neutronenstrahlung 70% der Gesamtstrahlung ausmacht, basiert auf früheren Messungen an Castor-Behältern vom Typ HAW 20/28 [SSK98]. Zur Berechnung der wirksamen Gesamtdosisleistung wird für die Neutronenstrahlung gemäß der Strahlenschutzverordnung (StrlSchV) ein Qualitätsfaktor von 10 verwendet. Der Faktor 10 für die Neutronenstrahlung ist in der StrlSchV für einen Energiebereich von 2 MeV bis 20 MeV vorgegeben. Der Qualitätsfaktor gibt an, mit welchem Faktor die physikalische Dosis zu multipliziert ist, um Aussagen über deren biologische Schadwirkung (biologische Dosis) zu erhalten. Für die Gammastrahlung beträgt der Qualitätsfaktor 1. Die gemessene Gesamtdosisleistung beträgt somit 1.43*100/30 = 4.8 µSv/h. 

Die Strahlungswerte für einen Abstand von 2 m Entfernung vom Transportfahrzeug sind von besonderer Bedeutung, da in den Vorschriften für Gefahrguttransporte für diesen Abstand ein Grenzwert festgelegt ist. Laut international geltender Transportbestimmungen für Gefahrgüter vom Typ B, und dazu gehören die Castortransporte, darf in 2 m Entfernung vom Gefahrgut eine Strahlendosisleistung von 100 µSv/h an keinem Punkt überschritten werden, dass die Strahlungsintensität mit zunehmenden Abstand vom Castorbehälter abnimmt. Diese Abnahme folgt in geringer Entfernung vom Behälter einer Abnahme mit dem Quadrat der Distanz (1/r2 Abhängigkeit) und ist in Abbildung 2 verdeutlicht. Da die Entfernung zum Castorbehälter etwas schwankte, wurde die Gesamtdosisleistung für eine Entfernung von 6.5 m berechnet. Der oben ermittelte Messwert von 4.8 µSv/h kann so auf eine entfernungskorrigierte wirksame Gesamtdosisleistung von etwa 101.4 µSv/h im Abstand von 2m extrapoliert werden. 

Grafik Sicherheitsanalyse  
jpg Abbildung 2: Grafik aus der Sicherheitsanalyse der Gesellschaft für Anlagen- und Reaktorsicherheit aus dem Jahr 2000 [GRS2000]. (jpg)

Diskussion des Ergebnisses

In der Literatur wird eine Gesamtdosisleistung in 2 m Entfernung von 55 µSv/h bei Castorbehältern angegeben [GRS2000]. Der gefundene Wert von 101 µSv/h überschreitet bisherige Messungen um fast das Doppelte. Die bei diesem Transport im November 2006 gemessen Gesamtdosisleistung ist höher als der von Robin Wood e.V. im März 2001 festgestellte Maximalwert von 60 S/h in 2 m Abstand vom Castor [RWM2001]. Diese Messung wurde in einem Abstand von 24.5 m durchgeführt. Eine Messung von Robin Wood e.V. im November 2001 ergab einen geringeren Wert von 38 µSv/h [RWN2001].

Eine Betrachtung möglicher Fehlerquellen der Messung ergibt, dass sich der Fehler der Messung hauptsächlich aus der Messgenauigkeit Gammastrahlung, die aufgrund der relativ kurzen Messzeit etwa 10% betrug und dem Fehler der Entfernungskorrektur von ca. 16% zusammen. Aus dem sich so ergebenden Gesamtfehler von 19% kann die Gesamtdosisleistung in 2 m Abstand mit 101 +- 19 µSv/h angegeben werden. Selbst der untere Wert von 82 µSv/h liegt immer noch sehr nahe am Grenzwert der Transportverordnung. Nicht berücksichtigt bei der Bestimmung des Gesamtfehlers blieb der Fehler des Qualitätsfaktors für Neutronen. Nach Einschätzungen eines unabhängigen Wissenschaftlers müsste der Wert sogar 75 betragen [KUN2000].

Die maximale gemessene Gesamtdosisleistung ist folglich knapp über dem festgelegten Grenzwert von 100 µSv/h in 2 m Abstand von der Fahrzeugoberfläche. Neu gegenüber den Messungen von Robin Wood e.V. ist der geringe Abstand zu den Castoren. Im Gegensatz zu den Transporten im Jahr 2001 werden mittlerweile zwölf statt sechs Behälter transportiert, was mit großer Wahrscheinlichkeit auch eine Erhöhung der Gesamtdosisleistung an einem bestimmten Punkt in der Nähe der vorbeifahrenden Castoren zur Folge hat.

Messung im Wendland

Dem Grenzwert der Strahlenschutzverordnung liegt noch immer der alte Wichtungsfaktor von 10 für die biologische Wirksamkeit von Neutronen zu Grunde, obwohl die International Strahlenschutzkomission ICRP in ihrer Empfehlung 60 von 1991 [ICRP60] einen Wichtungsfaktor von 20 für Spaltneutronen empfohlen hat. Die Frage ist, ob diese Qualitätsfaktoren den weltweiten strahlenbiologischen Forschungsergebnissen entsprechen. Die Annahme einer linearen Beziehung zwischen der physikalischen Energieabsorption und der biologische Wirkung trifft nicht in allen untersuchten Fällen zu. Abhängig von der Neutronenenergie und biologischen System ergeben sich Unterschiede von mehr als Faktor 100. Tatsächlich können bei geringer Dosisleitung relativ mehr Radikale (aus der Radiolyse des Zellwassers) zur Auslösung von Mutationen zur Verfügung stehen als bei höheren, da der Effekt der Selbstauslöschung von Radikalen zum Teil wegfällt. Eine überlineare Dosis-Wirkungs-Beziehung ist die Folge.

Die Menschen, die sich beruflich, als Demonstranten oder als Anwohner im Nahbereich des Castor aufhalten, sind nach unseren Messungen einem erhöhten Gesundheitsrisiko ausgesetzt. Der nächste Castortransport sollte an vielen Stellen der Transportstrecke mit Strahlenmeßgeräten überwacht werden. Wenn sich die hohen Strahlungswerte bestätigen hat Frau Merkel genügend Gründe ihr Machtwort von 1998 zu wiederholen! 

Referenzen

SSK98
Strahlenschutzkommission; „Strahlenschutz und Strahlenbelastung im Zusammenhang mit Polizeieinsätzen anläßlich von CASTOR-Transporten“; Bonn 1998

GRS2000
G.Schwarz, H.-J.Fett, Y.Francois, F.Lange; „Sicherheitsanalyse zur bestimmungsgemäßen Beförderung von radioaktiven Abfällen und bestrahlten Brennelementen in der Region Gorleben“; GRS-A-2814, GRS 2000

RWM2001
Stefan Hild; „Gammadosisleistungsmessungen an CASTOR-Behältern (März 2001)“; Robin Wood e.V.

RWN2001
Dr. Helmut Hirsch, Stefan Hild; „Messungen von Neutronen- und Gammastrahlung an Behältern vom Typ CASTOR HAW 20/28 CG“; Robin Wood e.V.; 16.11.2001.

KUN2000
Kuni, H.; „Wichtungsfaktoren“; in: Strahlengefahr für Mensch und Umwelt, Berichte des Otto Hug Strahleninstitutes Nr. 21-22, April 2000

ICRP60
International Comission on Radiological Protection, Publication 60,

Recommendations of the International Comission on Radiological Protections, Annals of the ICRP, Vol. 21, No.1-3, Pergamon Press, Oxford, New York, Seoul, Tokyo, 1991

Messung im Wendland